Dienstag, 08.11.2022

Sapa

Wir kamen um 4:55 Uhr morgens bei weniger angenehmen 7 Grad Celsius in Sapa an. Gerade aus dem Bus ausgestiegen, noch nicht mal die Schuhe angezogen, wurden wir von Leuten umringt. „Taxi Taxi“, „Trekking tomorrow?“, „Scooter Taxi?“, „sit down here, breakfast!“, „ Ma’am you want massage?“ „Taxi Taxi“. So viel Englisch habe ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht von Vietnamesen gehört. Gekonnt ignorierten wir die Angebote und machten uns in der Kälte zu Fuß auf den Weg zu unserer Unterkunft. Konnte ja nicht so schwer sein, laut Google Maps nur 8 Minuten. Kurze Zeit später standen wir vor einer Reihe von Häusern, aber unsere Unterkunft war nirgends zu finden. Die wenigen Leute, die bereits wach waren und ihre Verkaufsstände vorbereiteten, ignorierten uns als wir nach dem Hostel fragten. Letzten Endes liefen wir bis kurz nach Sonnenaufgang suchend herum, bis uns ein kleines, unbeleuchtetes Tor auffiel, dass wir bei Dunkelheit übersehen hatten. Schnell machten wir es uns im Foyer bequem, Check-in war erst um 10 Uhr. Ich fing per Zufall an, die Rezensionen zu lesen und nach zahlreichen Beschwerden über Schimmel, Dreck und Bettwanzen wurde uns klar: hier wollen wir nicht bleiben.

(Normalerweise lesen wir IMMER Rezensionen, aber die Unterkunft hatten wir am Vorabend in Eile gebucht und waren wohl vom kostenlosen Frühstück so geblendet, dass wir es vergessen hatten)

Ohne lange zu zögern buchten wir eine neue Unterkunft, welche zwar ein wenig außerhalb der Stadt lag, aber super Rezensionen hatte. Somit liefen wir für 20 Minuten mit Rucksack und Koffer zu unserem neuen Ziel. Der Mann an der Rezeption sprach leider kein Englisch und musste deswegen seine Tochter aufwecken, die als einzige in der Familie Englisch sprechen konnte, aber wir bekamen zum Glück einen super schnellen Check-in und fielen dann endlich um 7:30 Uhr im unseren wohl verdienten, beheizten Betten und holten ein wenig Schlaf nach.

Am frühen Nachmittag weckte uns der Hunger und wir erkundeten die kleine Stadt. Sapa war wunderschön winterlich geschmückt, mit vielen Lichterketten und ein paar Tannenbäumen, was mir, in Kombination mit der Kälte (14 Grad) ein sehr weihnachtliches Gefühl gab. Zum ersten Mal realisierte ich, dass bereits November ist.

 

Für den nächsten Tag (03.11) hatten wir in unserer Unterkunft eine Trekking Tour gebucht (350 000 Dong, 13,99€) und wurden um 9 Uhr von Lou, unserem Tourguide abgeholt. Sie führte uns zum Rest der Gruppe, die in einem anderen Hostel untergebracht waren und so machten wir uns zu zwölft auf den Weg. Für die nächsten drei Stunden liefen wir die hügeligen Reisfelder hinauf und hinunter und genossen die atemberaubende Aussicht und das tolle Wetter.

Während der gesamten Wanderung begleiteten uns vietnamesische Frauen, welche Schmuck, Stoffe und Souvenirs in Körben auf ihren Rücken dabei hatten. Sie halfen uns oft in „schwierigen“ Situationen, in dem sie uns eine helfende Hand zur Balance anboten. Anfangs dachte ich mir nichts dabei, doch schnell fiel mir auf, wie sich die Frauen jeweils einen Touri heraussuchten und ausschließlich dieser Person halfen. Teilweise war es ein wenig absurd, vor allem als sie anfingen, bei flachen Stellen unsere Hände zur Unterstützung zu nehmen. Kurz vor dem Mittagessen war dann klar wieso: der Verkauf ging los. Man wurde nahezu mit Taschen und Decken überhäuft und das klassische „no, thank you“ wurde nicht akzeptiert. Es fielen Sätze wie „I help you, now you must shopping!“ und nach dauerhaftem Ablehnen wurden sie sichtbar sauer. Ich war ein wenig schockiert, wie schnell das freundliche Miteinander innerhalb von Sekunden vergessen war. Auf der einen Seite verstehe ich, dass das Verkaufen von Souvenirs wahrscheinlich ihre einzige Lebensgrundlage ist und viel Armut und Verzweiflung mit im Spiel ist, aber auf der anderen Seite fühlte es sich an, als wären Höflichkeit, Hilfsbereitschaft und die kurzen Gespräche käuflich. Nisa und ich hatten schon vorher (auch in Thailand) den Eindruck, dass man kein einfaches Gespräch mit den Einheimischen führen kann, ohne dass Geld mit im Spiel ist. Kultureller Austausch kommt nur mit der Absicht, etwas verkaufen zu wollen zustande, was wir schade finden, da wir gerne mehr über die Mentalität der Menschen erfahren würden, ohne danach einen Holzochsen für 12,50€ kaufen zu müssen.

Mit schlechtem Gewissen ging es dann zum Mittagessen in einem kleinen Dorf. Dort liefen Kinder von ca 5 bis 12 Jahren zwischen den Tischen herum und versuchten die gleichen Waren zu verkaufen. Sie streckten uns ihre Armbänder und Taschen unter die Nase und sobald man ihnen antwortete, hatte man einen ganzen Schwarm um sich herum. Am „Besten“ war es also, sie zu ignorieren und keinen Blickkontakt aufzunehmen, was uns schwer fiel, da es sich so respektlos anfühlte.

Unsere Trekkinggruppe bestand aus Engländern, Deutschen und Franzosen (und Nisa als Schwedin). Mein Gehirn lief wegen den ganzen Sprachen auf Hochtouren und obwohl ich schon wieder sehr viel Französisch vergessen habe, konnte ich einige Sachen für die Gruppe übersetzen :)

Nach dem Mittagessen führte uns Lou in das Dorf, in dem sie aufgewachsen ist und erklärte uns viele interessante Sachen über das Leben dort. In den umliegenden Dörfern wohnen verschiedene ethnische Minderheiten, welche alle ihre eigene Sprache sprechen und ihre eigene Kleidung und Kultur haben. Es ist ein sehr einfaches, bäuerliches Leben in Holzhütten mit Wellblechdächern, ähnlich wie ich es mir vor ein paar Hundert Jahren in Deutschland vorgestellt hätte. Die Kinder gehen nicht zur weiterführenden Schule, da diese Geld kostet und sich die meisten Familien dies nicht leisten konnten. Mädchen werden mit 13 Jahren verheiratet und bekommen so lange Kinder, bis sie einen Jungen gebären. Teilweise haben die Frauen durch diesen Zwang bis zu 12 Kinder. Nach der Hochzeit ziehen die jungen Mädchen zur Familie des Jungen und wird dort Hausfrau, aber nur, wenn sie über die nötigen Kenntnisse (Kochen, waschen, nähen etc) verfügt. Auf keinen Fall darf sie faul sein.

Lou zeigte uns verschiedene Teile ihrer Arbeit. Beispielsweise werden jeden Morgen für eine Stunde Körner gemahlen, als Futter für die Tiere. Ich habe auch einmal ausprobiert, die Mühle zu bedienen, habe es aber nur einmal geschafft, das Gerät im vollen Kreis zu drehen, weil es super anstrengend war.

 

Lou erklärte auch viel über Reis. Von der Saht bis zur Ernte dauert es 7 Monate und viel Regenwasser wird zum Wachstum benötigt. Wenn dieses aber unregelmäßig wird oder ausfällt, als Folge von Klimawandel, kommt es zu Missernten und Hungersnöten. Tatsächlich hat die letzte Hungersnot bis Juni angehalten, da im letzten Jahr zu wenig Regen gefallen ist.

Sie führte uns durch das Dorf bis zur Grundschule, wo wir von einem Bus abgeholt und zurück nach Sapa gefahren wurden. Ein sehr sehr schöner, aber auch anstrengender Tag. Die Aussicht über die vielen Reisfelder auf die gegenüberliegenden Berge war wunderschön.

Nisa musste leider aus Vietnam ausreisen, da ihr Visum nur für 15 Tage galt. So trennten sich unsere Wege fürs erste, wir werden uns aber in Malaysia wiedersehen.

 

Inzwischen fühle ich mich zwar ein wenig wohler in Vietnam, die Menschen sind immer noch nicht die herzlichsten, aber immerhin machte ich keine allzu schlechten Erfahrungen mehr. Trotzdem würde ich mich unwohl fühlen, alleine durchs Land zu reisen. Leonie, eine Freundin von mir, ist auch gerade auf Asienreise und zufälligerweise überschneidet sich unsere Zeit in Vietnam für ein paar Wochen. Pauline (eine Freundin) und sie sind eine Woche später als ich in Hanoi gelandet und hatten auch Lust zusammen weiterzureisen, weswegen ich es mir für ein paar Tage in Sapa gemütlich machte und auf die beiden wartete.

Ich überlegte, den naheliegenden Fansipan, den höchste Berg Vietnams zu besichtigen, aber mir waren die Gondeltickets zu teuer (30€), weswegen ich zwei Tage im Bett, in Cafés oder Restaurants verbrachte und die Aussicht genoss. Das Wetter war blöderweise oft bewölkt, wodurch es, zusammen mit dem Wind, eisig kalt wurde und ich mich erkältete. Auf Temperaturen unter 10 Grad Celsius hatte ich mich vor 4 Monaten beim Packen nicht vorbereitet, aber dann wurde eben improvisiert und das gemacht, was die Deutschen am besten können: der Zwiebel-Look, also mehrere Kleidungsschichten übereinander.




Leonie und Pauline erreichten Sapa am 08.11 und wir wurden sofort ein lustiges Trio. Auch wenn die Kommunikation bei Nisa und mir überhaupt kein Problem war, tat es richtig gut, mal wieder deutsch sprechen zu können.

Wir verbrachten drei weitere abenteuerliche Tage  in Sapa, liehen uns Roller, erkundeten die umliegenden Wasserfälle und gingen auf eine Trekking Tour. (Ich kannte diese zwar schon, aber es machte jedes Mal so viel Spaß, dass ich es jederzeit noch öfter machen würde)

 

 

Ursprünglich hatten wir vor, als nächstes den Ha Giang Loop zu machen. Das ist eine 3 bis 5 tägige Rollertour durch den Norden Vietnams, teilweise an der Grenze zu China. Jedoch machten uns kalten Temperaturen sehr zu schaffen, denn ohne Sonne wollten wir kaum das Haus verlassen. Also entschlossen wir uns dazu, den Ha Giang Loop auszulassen und den Norden zu verlassen. Inzwischen (11.11) sitzen wir im Nachtbus nach Hanoi, werden dort einen Tag verbringen und dann nach Ninh Binh, eine wunderschöne Region in Zentralvietnam weiterreisen.

Der Norden hat mir (bei Sonnenschein) super gefallen und ich bin froh, Vietnam nach dem fragwürdigen Start noch eine Chance gegeben zu haben.